DER KOSMISCHE BLICK UNTER DEM MIKROSKOP
Überlegungen zu Marita Wiemers jüngsten Werken
von Dr. Viola Altrichter
Für Marita Wiemer scheint die Welt sich in einer Materie zu offenbaren, die sich im Malprozess zu Quadern, Kuben, Eisblöcken, Luftblöcken und verdichteter kristalliner Raumtransparenz sowie vegetabilen Zonen formt.
Das Spiel der Verkreuzungen von Linien, hier und da zu Flächen zusammengefasst, verdichtet sich zu prozessualen Botschaften, in denen die Bewegungen der Schraffuren Helligkeiten sich andeuten als einen Schleier, der sein hinter ihm aufscheinendes Licht erst durch seine Bewegung freigibt.
Man kann leicht erkennen, daß die Künstlerin vom Zeichnen kommt. Bei der Linie und dem Strich beginnt die Versessenheit, wie wenn man etwas durchdringen möchte, indem man Strich für Strich, etwas von einer imaginären Oberfläche löst oder Schicht für Schicht in sie hineindringt. Die Materie erschaffen wie Stein auf Stein, Zeichen auf Zeichen, Düne an Düne, Halm neben Halm, Welle auf Welle.
Über Linie und Strich entstand ihr, wie sie sagt, das „kathedrale Gefühl zur Malerei“: die Welt durchzogen und umfangen von Linien, wie der Erdball von Sphären. Und wie die vielen Schichtungen kann das „kathedrale Gefühl“ auch etwas Schneidendes haben: Felsvorsprünge, Gebirgswände, steinige, sich erhellende, verdunkelnde, unregelmäßige Flächen in braun, ocker, beige, sandfarben, - das ist für sie Heimat, „da könnte ich reinbeißen.“ (Zitat)
Immer aber ist es M. W. wichtig, daß die geliebten Schnitte und Schnittlinien nicht schmerzhaft, keine Abschiede sind. Der Schnitt darf im Endprodukt nur noch als Rest, als fossile Spur auftauchen, als Gezähmtes, als die versöhnende, widersprüchliche Gemeinsamkeit von Lebe und Tod. „Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel, vom Wind geformtes und nach unten schwer. Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel wäre zu weit und litte schon zu sehr.“ ( G. Benn, Gesänge 1) halt.